Wie Kirchenbücher zu uns sprechen / Die Familie des Frankenhäuser Ratskämmerers T. im Pestjahr 1626

von Peter Teuthorn - 30.06.2022

Die Frankenhäuser Kirchenbücher

Der erste Blick in die Frankenhäuser Kirchenbücher gelang mir irgendwann am Anfang dieses Jahrhunderts im Lesesaal des Thüringischen Staatsarchivs Rudolstadt. Ich genoss die besondere Gunst, direkt in den Büchern blättern zu dürfen. Eine Ausnahme. Mit meinen so entstandenen Notizen konnte ich anschließend an einem klapprigen Readerprinter von den eingelegten Filmrollen Fotokopien ziehen. Das Ergebnis konnte nicht lückenlos sein. Die Verfilmung hatten noch zu DDR-Zeiten die „Mormonen“ gemacht. Die Filme später in einer der Forschungsstellen auf Vervollständigung durchzusehen, gelang mir nie. Auf der digitalen FamilySearch-Plattform waren sie gesperrt. Aber nun die große Überraschung: die Filme sind seit Kurzem als Digitalisate bei FamilySearch zugänglich. Dank der Kooperation mit Ancestry dort auch als Transcript.

Die Kirchenbücher des Staatsarchivs und damit auch die Digitalisate sind Zweitschriften. Zu den Originalen kann es Differenzen geben. Sie entstanden ja aus Menschenhand. Der Zugang zu diesen Originalen war schwierig und ist erst wieder möglich, wenn die Digitalisate an Archion übergeben werden. Das wird noch dauern. So ist nun der Zugang auf FamilySearch eine gute Zwischenlösung.

Der Ratskämmerer Peter Teuthorn

Meine Forschung begann mit den in unserer Familie überlieferten Stammtafeln der ältesten Familien Frankenhausens. Der Autor Wippermann beginnt diese mit einem Joachim. Sein Sohn, der Ratskämmerer Peter ist der Ahnherr aller folgenden und heute noch lebenden Teuthorns. Mein Großvater wählte für meinen Vater den Namen Joachim. Dieser folgte ihm mit der Namenswahl Peter für mich. Der Frankenhäuser Kämmerer wurde am 9. September 1562 getauft und 71 Jahre später am 19. April 1634 begraben. Seine erste Ehe schloss er am 24.4.1586, die zweite am 15.6.1600. Diese endete im Pestjahr 1626.

Familiengeschichte

Wenn aus Familienforschung, also dem Erheben genealogischer Daten, Familiengeschichte entstehen soll, braucht es mehr als die Daten von Geburt, Heirat und Tod. Ein erster Schritt zum Verstehen der Umstände, unter denen unsere Vorfahren gelebt haben, ist ein umfangreicher Blick in die Kirchenbücher. Wer wurde neben unserem Probanden getauft? Wer sind die Paten, die auf Verwandtschaft und Freundschaft hinweisen? Wird über einen umfangreichen Heiratseintrag Familie sichtbar? Wie beginnt und beendet der Pfarrer die Sterbeeinträge eines Kalenderjahres? Nehmen wir dazu die Jahre 1625/26. Es ist jeweils das Bemühen erkennbar, dem Sterben mit der Gewissheit der Auferstehung den Schrecken zu nehmen. Aber die Sehnsucht nach Gewissheit kann letzte Zweifel nicht vertreiben. Sonst müsste das Weiterleben im Jenseits nicht mit Aufmunterung und Allegorien beschworen werden. Der Pfarrer schreibt:

„Warumb solte denn der Todt uns / bitter sein: Warumb weinen den / wir im Tode? … / Weine nicht, / Itzo kommt die Zeit der seligen / Heimfahrth.“ (1625)
und
„Als D. Martinus Lutherus / im frulingk im Garten … die Blumen / angesehen, wie sie schoen und lieblich knospeten, … und gesprochen hatte: / Gelobet sey Gott der schoepfer, der aus todten abgestorbenen Creaturen … / alles wieder lebendigk machet.“ (1626)

Und als das Jahr 1626 endet und der Pfarrer wie in jedem Jahr die Bilanz macht, notiert er erschreckende Zahlen. Was in normalen Jahren Routine ist, muss jetzt schmerzen. Denn die Sterbefälle sind in diesem Jahr sechs bis neunmal höher als in anderen Jahren. Das kann sein Gott doch nicht gewollt haben. Warum? – Das Gott es zuließ, war seit der ersten großen Pestwelle von 1349 in Europa bekannt. Wie und ob man sich überhaupt schützen konnte, wusste die Bevölkerung nicht. Allerdings war bekannt, dass die Pest nicht alle Gegenden gleichzeitig heimsuchte.

Was diese Zahlen uns sagen, wird noch deutlicher, wenn wir, nun neugierig geworden, das jeweilige Schlussblatt der Jahre 1625 (147) und 1627 (110] zum Vergleich heranziehen. Dem Wort Pest oder „das große Sterben“ begegnen wir in den Texten nicht, und doch ist sofort klar: dieses Sterben ist nicht normal. Die Verstorbenen müssen überwiegend Pesttote sein.

Aus der Literatur

Der zweite Schritt zum Verständnis der Zeitumstände ist wenigstens das Sichten zeitgenössischer, möglichst regionaler Literatur. Das bedeutet großen Aufwand. Aber die zunehmende Digitalisierung gemeinfreier Schriften in Bibliotheken und Archiven bietet eine gewisse Erleichterung.

S. 57 Im J. 26 [1626] starben in Danzig 10.536 an der Pest.
S. 58 1634 treffen wir die Pest in Ingolstadt, in Wien wo jede Woche über 600 begraben wurden, in Nürnberg, wo über 1000 wöchentlich starben.
Viele starben, am 1., Andere am 4.-7. Tage. Manche noch in der 3. – 4. Woche. Im Jahre 36 war die Pest nicht blos in Bonn, sondern auch in den umliegenden Dörfern. Die Angst war so gross, dass die Leute es nicht wagten, das (S. 59) Getreide von den Feldern zu holen.
(Kleine Pest-Chronik, Dr. B.M. Lersch, Cöln und Leipzig. Verlag von Eduard Heinrich Mayer. 1880 / Deutsche Digitale Blbliothek.)

Die Bevölkerung wusste keinen Rat. Wie sollte man sich verhalten? Ein Mittel schien es zu sein, sich in einen noch pestfreien Ort zu begeben.

Demgemäß kam es in Pestzeiten mehrfach zu Verlagerungen der Hofhaltung in pestfreie Orte, beispielsweise 1561 und 1581, als der Weimarische Hof nach Waltershausen bzw. Jena auswich oder 1592, als der Sondershauser Hof in Clingen residierte.
Der Pest wegen hatte die Universität Jena 1579 ihren Lehrbetrieb nach Saalfeld verlegt.

1635 Jan. und 36 Sept. sind mehrere Ratsherren der Pest wegen von Aachen abwesend.

Ob auch in Frankenhausen einzelne oder ganze Familien den Ort verließen, ist mir (noch) nicht bekannt. Für den Ratskämmerer Peter Teuthorn ist das Verlassen der Stadt wohl eher unwahrscheinlich. Seine Familie trifft es besonders erbarmungslos. Am 15. Juni stirbt Susanne, seine zweite Frau, Tochter aus der angesehenen Familie der Fischers. Im Oktober sterben nacheinander am 13., 15., 26. und 30. fünf ihrer Kinder: Peter Wolfgang mit knapp 22 Jahren zusammen mit der 11 Jahre alten Schwester Elisabeth Anna, Maria mit 17, Susanne Magdalene mit 24 und Anna Maria mit 14 Jahren. Am 28.11. dann auch der 30-jährige Sohn aus erster Ehe, der Sattler Hieronymus.

Die drei älteren Kinder aus der Ehe mit Anna Salzmann, Jacob, Anna und Joachim, überleben nicht nur dieses Unglücksjahr, sondern auch das spätere Pestjahr 1636. Mit Jacob setzt sich die Familienlinie fort. Anna war bereits mit Adam Scharffenbergk verheiratet, der allerdings 1627 starb. Danach ging sie mit dem Cantor Horn eine zweite Ehe ein. Heinrich (1607-1645), der nach Artern ging und später nach Frankenhausen als Ratskämmerer zurückkehrte, begründete den Artern-Leipziger Zweig der Familie. Die Sterbedaten dreier jüngerer Kinder, die das Jahr 1626 überlebten, sind noch nicht gefunden.

O HERR, lass uns leben!

Die Quellen

Kirchenbücher: Wer über Ancestry.com einsteigt, gelangt im Fall der Frankenhäuser Kirchenbücher zu systematisierten Auszugsdaten eines Eintrags, ohne Hinweis auf die Quelle, die auf FamilySearch kostenlos vorhanden ist. Dort ist ein solcher Beitrag von einem Scan begleitet. Damit bin ich direkt in der Quelle, und das ist wesentlich. Denn bei jedem dritten Beitrag muss ich Korrekturen anbringen. Endlich ist das komfortabel und wirksam möglich. Die Originale der Frankenhäuser Kirchenbücher werden vermutlich in mehreren Jahren bei Archion einsehbar sein.

Regionalgeschichtliche Literatur und Archivalien: Wer besonders gründlich sein will, sucht in Bibliotheken zeitgenössische Literatur. Es lohnt aber auch, den wachsenden Bestand online zugänglicher Digitalisate zu durchsuchen.  Eine wichtige Quelle dafür sind die Deutsche Digitale Bibliothek (Suchwort Pest) und das Digitale Landesarchiv Thüringen.

Meine Familiengeschichte …

… ist kein geschlossenes Werk, sondern ein Mosaik aus verschiedenen umfangreichen Einzeldarstellungen in den Formen Zeitschriftenaufsatz, Buch, Website, Blogartikel, Datenbank (Geneanet und GedBas). Eine zusammenfassende Aufstellung gibt es hier. Zuletzt und fast noch druckfrisch erschien in der ZMFG ein Aufsatz zu den Anfängen des Parlamentarismus in der Unterherrschaft von Schwarzburg-Rudolstadt.


Peter Teuthorn

Mitglied: AMF 2010 / SHFam 1291 / CompGen 3116 / 

p(at)teu-net.de

Mehr über ihn und seine Forschung unter http://wiki-de.genealogy.net/Benutzer:Teuthorn