Kein Speiseeis für Schüler – Amtsblätter als Quellen der Familienforschung

von Daniel Pfletscher - 12.08.2020

Amtliche Nachrichten- oder Mitteilungsblätter landen in aller Regelmäßigkeit in unseren Briefkästen. Viele schenken ihnen wenig Beachtung, weil sie oft Verordnungen der Kommune oder des Kreises enthalten, die umständlich formuliert sind und mit Paragrafen um sich werfen. Alte Amtsblätter können für uns Familienforscher aber interessante Quellen darstellen, weil sie die Rahmenbedingungen im Lebensalltag unserer Vorfahren beschreiben.

Für Forschende wird der Zugang zu den Blättern immer komfortabler, weil sie an vielen Stellen digitalisiert werden, wie beispielsweise an der Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. Dort stehen sie im Portal journals@UrMEL Interessierten zur Verfügung. Einzelne Beiträge sind verlinkt, wodurch sich die Suche nach relevanten Informationen verhältnismäßig komfortabel gestaltet. Auch eine Stichwortsuche auf den Startseiten der Periodika ist möglich.

In meiner dienstlichen Tätigkeit durfte ich mich mit dem Amtsblatt der Preußischen Regierung zu Erfurt des Jahres 1929 beschäftigen. Sicherlich gibt Jahrgänge im 19. und 20. Jahrhundert, die spektakulärer, politisch und gesellschaftlich brisanter waren. Trotzdem möchte ich anhand dieses Bandes zeigen, welche Art von Informationen in den Amtsblättern zu finden sind.

Neben den abgedruckten behördlichen Verordnungen und Bekanntmachungen erfährt man Details zur Ortsgeschichte der verwalteten Gemeinden, beispielsweise die Eröffnung des Haltepunktes Nohra (Wipper) für den Personenverkehr,  die Eintragung der Nordhäuser Rosenmühle in das Wasserbuch, die Verleihung des Wasserrechts für die Holzstoff- und Pappenfabrik der Firma Carl Zeiß (Jena) in Ziegenrück  oder die Umgemeindung von Grundstücken in den Ortschaften Rockendorf und Seisla.

Wer evangelische Vorfahren im früheren Gutsbezirk Brandenstein (im heutigen Saale-Orla-Kreis) kennt, wird den Hinweis als nützlich erachten, dass diese zum 1. Oktober 1929 aus der Kirchengemeinde Ranis im Kreis Ziegenrück in die Kirchengemeinde Krölpa umgepfarrt wurden. Nachfahren von Schuhmacherfamilien im Amtsgerichtsbezirk Suhl könnte interessieren, dass Gewerbetreibende dieser Branche per Anordnung des Regierungspräsidenten einer Zwangsinnung für das Schuhmacherhandwerk angehörten. Vorfahren, die in dieser Zeit ihre Heimat verließen, um sich anderswo eine neue Existenz aufzubauen, wandten sich vielleicht an den Auswanderungsagenten A. Manz in Heiligenstadt, dem die Befugnis erteilt wurde, Beförderungen von Auswanderern nach außerdeutschen Ländern zu vermitteln. Ahnen, die dem Gemeinwohl zugeneigt waren, spendeten vielleicht hin und wieder für wohltätige Lotterien, wie jene zugunsten der Erneuerungsarbeiten an der Frauenkirche zu Dresden.

Gesetze und Verordnungen können nicht nur informativ, sondern durchaus auch unterhaltsam sein. In der neuen Fassung des § 20 der Straßenverkehrsordnung vom 5. März 1927 (Beschaffenheit des Fahrrades) ist nachzulesen, womit jedes Fahrrad versehen sein müsse: “

  1. mit einer sicher wirkenden Hemmvorrichtung; als solche gilt auch eine Rücktrittbremse;
  2. mit einer hell tönenden Glocke zum Abgeben von Warnungszeichen;
  3. während der Dunkelheit und bei starkem Nebel mit einer hellbrennenden Laterne mit farblosem oder gelblichem Glase, welche den Lichtschein nach vorn auf die Fahrbahn wirft und einem Rückstrahler, der einfallende Lichtstrahle in gelbroten Farben deutlich zurückwirft.”

In der Polizeiverordnung, betreffend den Verkehr mit Speiseeis ist geregelt, das Speiseeis „nur in Gefrierbüchsen zubereitet werden [darf], welche ganz aus Zinn oder aus einem anderen von der Polizeiverwaltung als einwandfrei anerkannten Stoff hergestellt sind.“ (§ 2)
„Strenge“ Kriterien gelten für alle, die an der Herstellung, dem Transport und Verkauf beteiligt sind. Sie „haben an sich und an ihren Kleidern die größte Reinlichkeit zu beobachten. Sie müssen von ansteckenden und ekelerregenden Krankheiten frei sein und dürfen während ihrer Tätigkeit nicht rauchen, Tabak kauen oder schnupfen.“ (§ 7)
Was heute für Aufregung sorgen würde: an „Kleinkinder und an Schüler und Schülerinnen, welche als solche kenntlich sind, darf Speiseeis auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen nicht verkauft werden.“ (§ 8)

In den Amtsblättern ist also viel über darüber zu lesen, von welcherlei Umständen der Alltag unserer Vorfahren bestimmt war. Aber auch unzählige Namen sind zu finden, die sicherlich in so manche Ahnenliste passen. Beispielsweise in den Personal-Nachrichten, die in vielen Ausgaben enthalten sind und über Neu- und Wiederbesetzungen von Ämtern, Schiedsstellen und Pfarreien Auskunft geben. Auch öffentliche Belobigungen sind enthalten. Vielleicht finden sich unter den Lesern dieses Beitrages Nachkommen des Erfurter Dekorationsmalers Wilhelm Hofmann, der einen Schüler vor dem Ertrinken gerettet hat?

Daniel Pfletscher

Blog-Redaktion, AK Saale-Orla, AK Digitales Archiv

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